Hallo Elke, dein Jeanslazarett, wie kam es dazu, warum hast du dich dem Denim verschrieben?
Ich war schon immer eine Textilerin.Â
Als Kind habe ich schon Puppenkleider genĂ€ht und Pullover fĂŒr sie gestrickt, meine Mama ist Damenschneiderin und ich bin mit NĂ€hnadeln und Stricknadeln groĂ geworden. SpĂ€ter habe ich dann all meine Bekleidung genĂ€ht, bevor ich dann recht spĂ€t eine erste richtige Jeans von meinem Freund geschenkt bekommen habeâŠ
Eigentlich wollte ich nach dem Abitur Modedesign studieren, und habe deshalb eine Schneiderlehre begonnen. Doch wĂ€hrend meiner Ausbildungszeit habe ich gemerkt, dass das NĂ€hen nach Schnitten und AusfĂŒhren von NĂ€harbeiten als Bekleidung mich nicht sehr glĂŒcklich macht und ich habe ein bisschen die Freude verloren.
Dennoch: Textilien fand ich immer schon interessant, an die GesellenprĂŒfung schloss sich ein Studium an FH Reutlingen Schwerpunkt Spinnerei an und spĂ€ter war ich ein halbes Jahr in der MaterialprĂŒfung mit Bearbeitung von Reklamationen in einem Labor in der Schweiz tĂ€tig. Das gefiel mir.
Dann standen viele Jahre Familie und unsere 2 Söhne im Mittelpunkt. Die Jahre vergingen und so habe ich vor zwei Jahren nach einer Sinnsuche in meinen eigenen alten Wurzeln die Freude zum Arbeiten mit Stoffen wiederentdeckt. Dazu kam das Thema Nachhaltigkeit, ich sah Berichte ĂŒber Herstellung von Jeans gelesen und gedacht: es ist sinnvoll, jede Jeans zu retten.Â
Die Idee des Jeanslazarett war geboren.
Zuerst habe ich viele Patienten zur Probe gepflegt, meinen eigenen Stil entwickelt und mich 2018 mit dem Jeanslazarett selbststĂ€ndig gemacht.Â
Was sind die hĂ€ufigsten Verletzungen bei Hosen aus gutem Denim die einer Behandlung in deiner Klinik bedĂŒrfen und wie findet die Anamnese statt und was fĂŒr Materialien kommen bei der Gesundung zum Einsatz?
Ich liebe die festen Jeans aus japanischen Jeansstoffen. Sie sind sehr haltbar und strapazierfĂ€hig. Trotzdem gibt es eben die persönlichen Schwachstellen je nach Nutzung des TrĂ€gers:Â
Umschlag am SaumÂ
Tascheneingriff und TaschenbeutelÂ
Schritt und Po-Bereich
Knie
Knopflöcher an KnopfleisteÂ
Meistens werde ich per Email oder auf Instagram angeschrieben. Dann frage ich nach einem Foto des Patienten als ersten Eindruck. Wenn ich das OK zur Behandlung gebe, bekomme ich den Patienten hierher geschickt. Dann wird er erst einmal auf den Kopf gestellt und alle Wunden vermerkt. Ein paar Eingangsfotos gemacht, damit der Vorher-Nachher-Vergleich spĂ€ter möglich ist.Â
Dann folgt die Behandlung. Die kann ganz unkompliziert sein oder mich auch an Grenzen bringen. âș
Und vor der Entlassung gibt es noch das typische Abschiedsfoto mit meinem Patienten.Â
Ich benutze NĂ€hfaden aus festem PES-Kern und Baumwoll-Mantel, das ist alles.
Gab und gibt es hoffnungslose FĂ€lle fĂŒr dich oder ist generell alles kurierbar? Wann muss sich der Besitzer von seiner geliebten Jeans verabschieden?
Bisher konnte ich doch alle Patienten aus Raw Denim rettenâŠÂ
Manchmal möchten auch Verletzte -meist weibliche Patientinnen- mit Elasthan ins Lazarett eingewiesen werden. Da musste ich jetzt schon ein paarmal ablehnen, denn durch die Materialzusammensetzung können sie einfach nicht zufriedenstellend behandelt werden.Â
Bei Strech Denim komme ich an meine Grenzen. Ich verstehe, dass viele Jeans nun mit Elasthan gearbeitet sind, weil die Haptik weicher ist. Gleichzeitig machen diese Reparaturen oft wenig dauerhafte Freude.Â
Hinter jeder geliebten Hose stehen Geschichten, sie sind der tĂ€glich Begleiter fĂŒr ihre Besitzer. Kannst du uns einige Geschichten deiner Patienten die dir im GedĂ€chtnis geblieben sind erzĂ€hlen?Â
Ja, die Geschichten⊠sicherlich fest in meinem GedĂ€chtnis ist mir mein erster japanischer Patient, fĂŒr den ich sogar eine Geschichte – fast eine kleine Liebesgeschichte – geschrieben habe. Anfangs habe ich ab und zu auch noch Gedichte geschrieben und meine poetische Ader an meinen Patienten rausgelassen.
Kann man auf meiner Webseite lesen. www.jeanslazarett.de
Der Chiemgau, Traunstein, Rosenheim, der Chiemsee. Im Osten das Berchtesgadener Land und im Westen das Inntal. Eine wunderschöne, sehr traditionsbewusste und einzigartige Gegend in der du lebst und arbeitest. Inwieweit inspiriert dich das Umfeld in dem du deine Patienten kurierst?
Ich lebe seit 15 Jahren hier in dieser Gegend mit Blick auf den Hochstaufen und den Zwiesel. Das schönste ist im Sommer nach Feierabend mit dem Motorrad an den See zu fahren und zu schwimmen. Körperlicher Ausgleich ist wichtig bei dem vielen Arbeiten im Sitzen.
Wenn ich im Sommer meine Handarbeiten an den Patienten auf der Terrasse mache, sehe ich die Berge vor mir und höre die HĂŒhner und KĂ€lber der Umgebung.
Dir kommen jede Menge verschiedene Styles auf den OP-Tisch, Formen und Farben mit unterschiedlichsten Details. Sag an Elke, wohin geht der Trend beim Denim, was geht und was ging noch nie?
Jeans mit unnatĂŒrlichem Alterungsprozess – ausgebleicht oder mit kĂŒnstlichen Rissen – zĂ€hlen nicht zu meinen Lieblingshosen und kommen auch nicht oft zu mir.Â
âWeniger ist oft mehrâ, viele meiner Kunden tragen ihre Lieblingshosen jeden Tag.
Ich spĂŒre, der Trend im Allgemeinen geht zu Nachhaltigkeit und QualitĂ€t. Und wer sich eine gĂŒnstige Jeans kauft, scheut sich davor, Geld fĂŒr eine hochwertige Operation auszugeben. Da ich sehr viel mit der Hand vorarbeite, kommen da schon einiges an Arbeitszeit zusammen. Oft auch durch Auftrennen von alten Narben von vorherigen Operationen, die ich zuerst entfernen muss.Â
Und was bleibt? Es bleibt meistens eine sichtbare Narbe. Aber macht die nicht den Patienten noch besonderer und einzigartiger? Und verbindet sie nicht noch viel mehr?Â
Vielen Dank fĂŒr deine Zeit.
Mahalo!
Oberschwester Elke Boehringer
0174/5617420
Deutschland